Wir wissen sehr wohl um die Tatsache, dass die Vereine bzw. Akteure der Profi-Fußballligen als Wirtschaftsunternehmen agieren und als GmbH, KG, AG, etc. zwangsläufig finanzielle Interessen verfolgen und wirtschaftlichen Mechanismen unterliegen. Umso mehr erschüttert es, mit welcher Selbstverständlichkeit und Schamlosigkeit sich der Profi-Fußball eine Sonderrolle zuschreibt, die ein herber Schlag mitten ins Gesicht all jener ist, die die aktuelle Krise tatsächlich akut bedroht und deren Lebensrealitäten existenzbedrohend gefährdet werden. Wie erklärt ein Fußballspieler, der auf einen vergleichsweise geringen Anteil seines siebenstelligen Jahresgehalts verzichtet, Menschen, die nicht wissen, ob und wie lange sie Miete und Lebensunterhalt bestreiten können, dass Bundesligaspiele die Relevanz innehaben, die aktuell zu vermitteln versucht wird? Wie erklärt man Selbständigen, die um die Zukunft ihrer Geschäfte, Kneipen und Lebensgrundlagen bangen, dass für die Wirtschaftsunternehmen der Profi-Ligen derartige Sonderregeln gelten sollen?
Geisterspiele werden als unumgänglich dargestellt, als hinzunehmendes aber alternativloses Übel. Wenn der notwendige Verzicht auf das Austragen der Spiele für einen gewissen Zeitraum einen derart existenzbedrohenden wirtschaftlichen Einschnitt bedeutet, dann kann die Lösung nicht in der Forderung nach Geisterspielen liegen, sondern muss eine Auseinandersetzung mit dem System, das diese offenbar unbedingte Notwendigkeit zur Generierung von absurden TV-Geldsummen erzeugt und zugespitzt hat, anstoßen. Dass es im Bestreben nach der Fortsetzung des Spielbetriebs ganz offenbar einzig und allein darum geht, TV-Verträge um jeden Preis zu bedienen und sportliche Aspekte dabei völlig in den Hintergrund rücken und kaum noch Relevanz zu haben scheinen, zeigt auf fast schon beeindruckende Art und Weise, wie widerwärtig dieses System ist. Darauf, dass nach Ende der Corona-Krise und schrittweise zurückkehrender Normalität eine kritische Auseinandersetzung stattfindet und ein Umdenken angeregt wird, machen wir uns leider keinerlei realistische Hoffnung.
Spielbetrieb um jeden Preis, keine Rechtfertigung gegenüber Kritik ist zu schade- Man scheint sich nicht einmal zu dreist zu sein, um verlogen davon zu fabulieren, man trage mit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs einer gesellschaftlichen Verantwortung Rechnung. Ohne jeden Zweifel ist jedoch das exakte Gegenteil der Fall- wer in der derzeitigen Situation die nahezu unbedingte Wiederaufnahme des Spielbetriebs fordert, handelt wider jeden besseren Wissens, gegen jede Vernunft und sendet ein absolut fatales Zeichen- die in der Vergangenheit vielzitierte Vorbildfunktion des Fußballs wird auf groteske Art und Weise abgelegt.
Belege dafür, wie instabil das Kartenhaus rund um die „Task Force Sportmedizin/ Sonderspielbetrieb“ ist und wie es innerhalb der Mannschaften tatsächlich um die Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln bestellt ist, werden als (O-Ton Hertha BSC: ) „Verfehlung eines einzelnen Spielers“ verurteilt- dass das Problem mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Einzelfall ist und die Einhaltung von (ob des Charakters des Kontaktsports ohnehin scheinheiligen) Hygieneregeln auch an anderen Standorten mit einem organisierten Trainings- und Spielbetrieb nicht vereinbar ist, wird von Verantwortungs- und Entscheidungsträgern bewusst verschwiegen und unter den Teppich gekehrt. Die Intransparenz rund um die positiven Covid19-Tests in den Profi-Ligen und die Versuche der DFL, Vereine davon abzuhalten, über Ergebnisse, die in der Lage sind, die Wiederaufnahme des Spielbetriebs zu gefährden, zu informieren, unterstreichen das und sollten alarmieren. Der scheinbare Realitätsverlust und der Aufwand, mit dem mit aller Gewalt die Fortsetzung der Saison erwirkt werden soll, wirken von außen wie ein absurdes Schauspiel.
Unsere Kritik richtet sich nicht alleine gegen die DFL, das übergeordnete „System Profi-Fußball“ und den Bremer Innensenator Ulrich Mäurer, der in der Debatte wieder einmal wenig Besseres von sich zu geben wusste, als sinnentleert in Richtung Ultra-Szene zu schießen, sondern schließt ganz ausdrücklich auch den Verein ein, den wir so sehr lieben, der uns aber in diesen Tagen ebenso wie der gesamte Profi-Fußball immer fremder erscheint. Während der SV Werder seit Jahren mit dem Slogan „Soziale Verantwortung“ für sich wirbt und beispielsweise mit seiner Inklusions- oder Anti-Diskriminierungsarbeit tatsächlich lobenswerte und fortschrittliche Wege im Bereich CSR beschreitet (die hiermit auch nicht in Abrede gestellt werden sollen), konterkariert man diesen Slogan und lässt all die positiven Dinge verblassen oder gar heuchlerisch wirken, wenn man in seiner Obrigkeitshörigkeit den Vorschlägen der DFL blind folgt und seine Einwände darauf beschränkt, doch bitte noch etwas mehr Zeit zum Trainieren zu bekommen. Auch in der gegenwärtigen Situation engagiert Werder Bremen sich und unterstützt beispielsweise regionale soziale Projekte mit Geld- und Essensspenden. Dieses Engagement ist richtig und wichtig. In Bezug auf den Liga-Spielbetrieb hätten wir uns von den Verantwortungs- und Entscheidungsträgern bei Werder Bremen gewünscht, dass man der sozialen Verantwortung, die man sich auf die Fahne schreibt, auch im größeren Maßstab gerecht wird. Stattdessen begrüßt man die Wiederaufnahme des Spielbetriebs, sendet damit das gleiche fatale Zeichen wie die DFL und versucht, die Fanszene zu beschwichtigen und um Verständnis für die angebliche Unumgänglichkeit der Geisterspiele zu buhlen.
So gern wir den Abstiegskampf angenommen hätten, so gern wir uns Woche für Woche im Weserstadion und den Gästeblöcken der Liga dafür zerrissen hätten, unseren Beitrag zum Klassenerhalt zu leisten, so sehr es uns schmerzt, ohnmächtig dazustehen- so fremd werdet ihr uns und in so weite Ferne von dem, was wir lieben und mit dem wir uns identifizieren rückt ihr euch mit eurem ignoranten Verhalten. Wir sind maßlos enttäuscht, wütend und fassungslos.
Hansestadt Bremen Crew im Mai 2020